Entwöhntes Wohnen – Literatur über das Wohnen in der Pandemie

Autor/innen

DOI:

https://doi.org/10.18778/2196-8403.2023.01

Schlagworte:

Gegenwartsliteratur, Literatur und Lockdown, Wohnen, Wohnräume, ELFRIEDE JELINEK, MARICA BODROŽIĆ

Abstract

Der Lockdown im März 2020 hybridisiert den Wohnraum. Die architektonischen Grenzen der Wohnung erweichen in der Digitalisierung. Urbanisierung, ökonomische und ökologische Veränderungen, demographischer Wandel und Migration verlangen nicht erst kürzlich nach einer erneuten wissenschaftlichen und künstlerischen Reflexion über das Wohnen – gerade in Städten – und auch nach Fragen der Gestaltung angemessenen Wohnens. Die im europäischen Raum wohl radikalste Veränderung von Wohnräumen in der Moderne ist im 19. Jahrhundert im Zuge zunehmender Industrialisierung und Zuwanderung in den Städten zu sehen. In der Gegenwartsliteratur werden Wohnideale und -konzepte des 19. Jahrhunderts wieder aufgegriffen und ermöglichen es, neue Bedingungen und Möglichkeiten des Wohnens im Zusammenhang mit der Pandemie als historisches Problem zu reflektieren. Dabei spielen v.a. die in der Digitalisierung gewonnenen Kommunikationsmöglichkeiten zwischen den im Zuge des Lockdowns abgeschlossenen privaten Räumen und der Öffentlichkeit eine Rolle. Der folgende Aufsatz soll zunächst die theoretisch-geschichtlichen Hintergründe offenlegen und daraufhin zwei Texte der Gegenwartsliteratur – ELFRIEDE JELINEKS Lärm. Blindes sehen. Blinde sehen und MARICA BODROŽIĆS Pantherzeit – im Hinblick auf das Wohnen zu untersuchen und dabei die Texte nach ihren Reflexionen über Wohnen und Öffentlichkeit, Wohnen und Digitalität sowie Wohnen und Ich zu befragen. Der Versuch, der Gegenwart – in zuweilen durchaus fragwürdiger Hinsicht – einen besonderen Sinn zu geben, aber auch der Versuch, die menschlichen Lebensbedingungen in der Pandemie ästhetisch zur Erfahrung zu bringen, verbindet die beiden sonst sehr unterschiedlichen Texte.

Autor/innen-Biografie

Anna Lenz, Universität Bielefeld

Dr. phil., Wissenschaftliche Mitarbeiterin im Department Literaturwissenschaft an der Universität Bielefeld. Dissertation: „als wären wir geschichtslos“. Zum Geschichtsthe-ater bei Elfriede Jelinek (2023/2024); Forschungsschwerpunkte: Gegenwartstheater, Literatur und Geschichte, Popliteratur; Publikationen u.a.: „Die Welt glaubt nicht an die Gerechtigkeit des Weibes, sobald ein Weib das Opfer wird“. Geschichtstheater als Literaturgeschichtstheater. Elfriede Jelineks ‚Ulrike Maria Stuart‘. In: Jahrbuch der Deutschen Schiller-Gesellschaft 66/2022:271-303; zus. m. NILS ROTTSCHÄFER: „Wollte doch tatsächlich arbeiten, der verrückte Hund.“ Subjekte der Arbeit bei Thorsten Na-gelschmidt. In: SCHLICHT, CORINNA / KRAMP, MARIE / EGGERT, JANNEKE (ed.): Ästheti-sche und diskursive Strategien zur Darstellung von Arbeitswelt(en) in der deutschspra-chigen Literatur seit 2000. Paderborn 2023, 115-134.

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Veröffentlicht

2023-12-30

Zitationsvorschlag

Lenz, A. (2023). Entwöhntes Wohnen – Literatur über das Wohnen in der Pandemie. Convivium. Germanistisches Jahrbuch Polen, 11–31. https://doi.org/10.18778/2196-8403.2023.01

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