Acta Universitatis Lodziensis. Folia Germanica, 16, 2022
https://doi.org/10.18778/1427-9665.16.08

Marcin Gołaszewski*

„ICH BIN KEIN KOMMUNIST UND BIN NIE EINER GEWESEN“: KLAUS MANNS AUSEINANDERSETZUNG MIT DEM KOMMUNISMUS


„I AM NOT AND HAVE NEVER BEEN A COMMUNIST“: KLAUS MANN AND HIS RELATION TO COMMUNISM


(Summary)

Klaus Mann (1906–1949) belonged to generation influenced by the two World Wars, burgeoning communism, and rising nationalism. Political component in his work is very strongly articulated not only in novels and essays, but also in autobiographical work. This emphasises his fascination in times he lived, but most of all it expresses his own involvement in fighting the evil which in his eyes were represented by Hitler and Nazism. In Mann’s eyes communism was not solely represented as apolitical system, but rather an ally in his personal crusade. In the literature there is often aquestion asked whether Klaus Mann was acommunist or an ideologist whose majority of opinions were in line with ideological assumptions and values of the communist system. Despite clear declarations of the author himself, it is worth to look into his inner development: from fascination through growing distance and eventually disappointment which resulted in detaching himself from the communist ideas.

Keywords: The 3rd Reich, Klaus Mann, Emigration, Communism, national socialism.


Eine Weltanschauung, der jede Ahnung vom Metaphysischen fehlt, ein geistiges System, in dem es keinen Platz für die Kategorie des Transzendentalen gibt, bleibt mir Entscheidendes schuldig. Ich werde sie nie als mein absolutes Credo akzeptieren können. (Mann 1984, S.331)

Eine Beschäftigung mit der Politik schließt notwendigerweise die Auseinandersetzung Klaus Manns mit dem Kommunismus ein. Da sich diese über viele Jahrzehnte hinstreckt, ist eine gewisse Einordnung nötig (vgl. Eddy 2018).

In der Forschung wird immer wieder Klaus Manns Stellung zum Kommunismus behandelt. Die zentrale Frage lautet hier meist: War er Kommunist oder war es nicht? Sympathisierte er mit dem System oder sah er in ihm nur einen Verbündeten im Kampf gegen das faschistische System? (vgl. Weil 1983, S.53 und Grunewald, 1985, S.145).

Die eigentliche Antwort auf diese Frage, ob er Kommunist war oder nicht, soll hier nicht unmittelbar beantwortet werden. Denn sie ist klar, Klaus Mann gibt sie in Der Wendepunkt selber:

Ich bin kein Kommunist und bin nie einer gewesen. Ich bin auch kein Marxist. Ich glaube, daß die orthodoxen Marxisten viele Fehler auf vielen Gebieten machen, moralische, philosophische, psychologische und politische Fehler. (Mann, Wendepunkt 1984, S.327)

Trotz dieser eindeutigen Stellungnahme zeigt sich auch in diesem Punkt: „Klaus Manns Verhältnis zum Kommunismus und Kommunisten war zwiespältig“ (Laemmle 1990, S.206). Im Prinzip könnte man Klaus Manns Grundhaltung als liberal bezeichnen, mit einem stark ausgeprägten Interesse für sozialistische Ideen (Dirschauer 1973, S.64). Eine Festlegung würde auch gar nicht seinem Lebensbild entsprechen. Daher ist eine Annäherung an seine Beziehung zum Kommunismus hierbei viel interessanter. Inwieweit sah er darin eigene Ziele verwirklicht, inwieweit gingen einzelne Elemente gegen seine Vorstellungen, wobei gerade letzteres von besonderem Interesse zu sein scheint. Und wer „die Literatur Klaus Manns […] nur mit der Absicht betrachtet, ihn für eine bestimmte Partei zu ‚gewinnen‘ oder ihn von einer bestimmten Richtung post mortem ‚loszusagen‘, dem bleibt wesentliches von ihr verborgen“ (Weil 1983, S.56).

Klaus Mann fühlt sich schon früh von linken Ideen angezogen, zeigt sich von den sozialistischen Reformen fasziniert. Bereits in seiner ersten Autobiographie Kind dieser Zeit heißt es:

Geistig nie weiter vom Marxismus entfernt als damals, wußte ich doch, daß politisch nur immer auf der Linken mein Platz sein würde. (Mann 1986, S.180)

Er entwickelt im Laufe der Jahre die Idee, wie er es formuliert, eines ‚humanen Sozialismus‘[1], arbeitet sie in seinen Essays immer wieder auf. Die Basis bilden hierbei: Notizen in Moskau, entstanden nach dem Moskauer Schriftstellerkongress, und Der Kampf um den jungen Menschen[2], seine Rede auf dem Pariser Schriftstellerkongress für die Verteidigung der Kultur gegen Krieg und Faschismus. In ihnen drückt „sich deutlich die Krise des Bürgertums aus. Sie zeigen, daß Klaus Mann sich von seiner Klasse gelöst hatte, daß er einen Weg suchte, um ihr tradierungswürdiges Erbe in eine neue, humane Gesellschaft einzubringen“ (Walter 1969).

Klaus Mann entwirft hier das Konzept eines Systems, das „legitim konservativ-erneuernd“ ist; es „ehrt das Geheimnis“ ebenso wie „den Geist der Vernunft“ (Mann 1980, S.120).

Dass er gerade diese beiden Elemente verbindet, macht eins deutlich: hier handelt es sich um einen utopischen Gesellschaftsentwurf auf der Grundlage eigener Bedürfnisse. Von der Respektierung der Unterschiede einzelner ist hier die Rede, von der Aufhebung europäischer Grenzen.

Er spricht von der großen „Tat der sozialen Neuordnung“ (Mann 1969, S.119), die Grundlage einer besseren Zukunft sein soll. Als Voraussetzung dient dem ‚sozialistischen Humanismus‘ eine gerechtere Wirtschaftsordnung. Ihr kommt tragende Bedeutung zu:

Denn das Wirtschaftliche ist an die Peripherie gedrängt. Die Voraussetzung für ein menschenwürdiges Leben ist endlich geschaffen: die Gerechtigkeit ist organisiert. (Mann 1980, S.120)

Der ‚sozialistische Humanismus‘ begreift sich als der „komplexe und komplette Gegensatz des Faschismus“, er „wird seine Führer und großen Männer ehren und ihnen vertrauen, ihnen nacheifern“, aber: „er wird keinen kritiklosen Führerkult treiben“ (ebda., S.120f.).

Direkt hier schließt sich die für ihn wichtige Frage einer Beziehung zwischen Geist und Macht an, die im „Mittelpunkt von Klaus Manns Überlegungen über den Standort und die Verpflichtungen des Schriftstellers in der Gesellschaft“ (Grunewald 1985, S.144) steht.

Diese Beziehung stellt sich Klaus Mann als eine Zusammenarbeit vor, die für eine humanistische Gesellschaft nötig ist. Vorbild ist Tschechoslowakei, „ein gutes Land, eine gute Demokratie, die Tschechoslowakei Masaryks und Beneschs“ (Mann 1984, S.325), wo Macht und Geist identisch seien: „Im Gegensatz zur Tschechoslowakei sei Deutschland nie eine echte Demokratie gewesen, weil die Vertreter des Geistes keinen wirklichen Einfluß auf ihre Mitbürger ausgeübt hätten“ (Grunewald 1985, S.145). Wie groß der Einfluss in den sozialistischen Staaten wirklich war, wie stark der Geist hier in Wirklichkeit unterdrückt wurde, erfuhr er erst später.

Zunächst steht er dem sozialistischen System positiv gegenüber. Friedrich Kröhnke erkennt in seiner Arbeit Propaganda für Klaus Mann eine Annäherung Klaus Manns an die Kommunistische Internationale in den Jahren 1933/1934, „die Sowjetunion wird unter solchen Bedingungen für den deutschen Autor Klaus Mann sichtbar: als Bündnispartner, vielleicht gar als Orientierungspunkt“ (Kröhnke 1981, S.20). Im Rahmen der neuen Volksfront[3] und Bündnispolitik der Kommunisten, mit dem Ziel eines gemeinsamen Kampfes gegen Hitler, wird Klaus Mann zum Ersten Allunionkongress der Sowjetschriftsteller eingeladen. Dies entspricht auch seinen Zielen: ein gemeinsamer Kampf gegen Hitler auf der Basis einer antifaschistischen Volksfront. Und so reist er im August 1934 nach Moskau.

Anfangs überwiegen die positiven Erlebnisse. So zeigt er sich fasziniert von Stellenwert, den die Literatur in der Sowjetunion einnimmt: „Immer wieder erstaunlich: das brennende Interesse fürs Kulturelle“ (Mann 1989, S.52).[4] Gerade ihn als Emigranten muss diese Anerkennung von Literatur fasziniert haben, denn in „der marxistischen Gesellschaftsordnung war dem Schriftsteller und Künstler eine Funktion zugewiesen, die zu der Isolation und der Publikumslosigkeit des Emigranten in starkem Kontrast stand“ (Wegner 1967, S.136).

Eine solche Bewunderung für das öffentliche Leben in Moskau schließt eine Kritik von seiner Seite aber nicht aus, und so zeigt er sich abgestoßen von deren agitatorischem Charakter, wie der Tagebucheintrag vom 24. August zeigt: „Furchtbare Vereinfachung des ganzen Phänomens Kunst. Die Lit. als Armee“ (Mann 1989, S.56).

Er erkennt die Unterordnung der Schriftsteller in der sozialistischen Diktatur, sie ist ihm Warnung und gleichzeitig Kernpunkt seiner Auseinandersetzung mit dem Kommunismus, Grund für seine Distanzierung.

Zentral beschäftigt ihn hier die Frage nach einem Kompromiss zwischen politischer Disziplin und individueller Freiheit, das „immer wieder bewegende Problem von Kollektivismus und Individualismus“ (Schiller 1983, S.172).

Er weiß zwar, dass gewisse Opfer im Kampf gegen den Faschismus nötig sind, aber hierzu gehört nicht die Aufgabe des geistigen Bereichs, der Individualität, denn der Schriftsteller dürfe sich niemandem unterstellen, […] er sei als Schöpfer bedroht, wenn er aufhört, der Wirklichkeit kritisch gegenüberzustehen (Grunewald 1985, S.146).

So ist die Sowjetunion für ihn wichtig als Bündnispartner im Kampf gegen Hitler, dies aber nicht unter Aufgabe individueller Freiheit:

Genau dies aber fordert der autoritäre und totalitäre kommunistische Staat vom Intellektuellen: daß er die Marxsche Lehre mit all ihren Prämissen und Konsequenzen als absolut gültig und richtunggebend, als das alleinseligmachende Dogma, als Offenbarung und Evangelium anerkenne und befolge. (Mann 1984, S.331)

Klaus Mann ist wohl fasziniert von der Kollektivität und dem Gemeinschaftsgefühl im kommunistischen Staat, der „Aufbau“ des Sozialismus, so empfindet er, „ist hier wirklich die große, allgemeine Angelegenheit, welche die Herzen ergreift, die Gemüter bewegt, die Köpfe beschäftigt“ (Mann 1969, S.107). Als Einzelgänger findet er hier seine Idee einer Gemeinschaft verwirklicht.

Dieses Gemeinschaftsgefühl muss aber zu teuer erkauft werden: „Die geforderte Unterordnung des eigenen Intellekts, der eigenen Urteilskraft unter ein fremdes, dogmatisches Denken, war ihm letztlich zuwider“ (Laemmle 1989, S.206).

Wie schwer dies wiegt, wird auch in den Tagebüchern deutlich. Am 31.August 1934 notiert er unter dem Einfluss des Moskauer Schriftstellerkongresses:

EINSAMKEIT: Die Frage bleibt: ist auch sie nur ein ‚bürgerliches Vorurteil‘. Löst sich das Problem der Individuation und der Koexistenz glatt durch die Tatsache des Zusammenarbeitens […]. Wird, mit der Ausbeutung, auch jemals die abgrundtiefe Trennung zwischen Mensch und Mensch aufgehoben sein? (Mann 1989, S.59)

Für ihn ist die sozialistisch geforderte Gleichheit der Menschen nicht vorstellbar. Aufhebung der Individuation ist gleichbedeutend mit Unterordnung und dies kann nicht Ziel eines humanistischen Systems sein.

Die Festsetzung der Literatur als reine ‚Funktionsliteratur‘ im Dienste des Sozialismus hängt eng damit zusammen. Klaus Mann klagt:

Die Dichtung als rein soziale Funktion – während sie doch auch die geheimnisvolle überhaupt nicht mehr zweckgebundene Funktion ist. Sie kann nicht nur beschäftigt sein durch Fragen wie: Kollektivierung der Landwirtschaft u.s.w. – so wichtig diese sind. Ihre unergründlichen Themen bleiben doch auch: die Liebe, die Einsamkeit der Individuation, der Tod als Rätsel, Hoffnung, letztes Glück. (Mann 1989, S.58)

Was ihn zudem erschreckt, ist die Unterdrückung ‚anderer‘ Menschen. Menschen, die sich nicht so leicht in das neue System des fröhlichen Aufbau-Optimismus einfügen können. Die Änderung der sowjetischen Sexualgesetzgebung (vgl. Gołaszewski 2018, S.543–554) ist für ihn ein erster Schlag und dürfte schon „von hier an eine weitere Annäherung an die kommunistische Linke verhindert haben“ (Mattenklott 1979, S.31).

Auf dem Pariser Schriftstellerkongress verteidigt er die Werte seines ‚sozialistischen Humanismus‘ und kritisiert die Lehren der stalinistischen Führer, ihre platt- und pseudo-materialistische ‚Theorie‘, dass die Enteignung des Kapitals alle gesellschaftlichen Konflikte aufhebe“ (Kröhnke 1981, S.43).

Und er verteidigt noch einmal, wie in Homosexualität und Faschismus, die Homosexualität. In der Gesellschaftsform des ‚sozialistischen Humanismus‘ gibt es „keine Form der menschlichen Liebe, der menschlichen Intelligenz, die […] geringgeschätzt würde. Hier hat alles Platz“ (Mann 1980, S.120). Nur leider nicht im kommunistischen Gesellschaftssystem. Im Prinzip wird in dieser Rede noch einmal deutlich, worauf Klaus Manns Kritik am Kommunismus beruht: nämlich darauf, „daß das System zu wenig Rücksicht auf die komplexe Konstitution der menschlichen Psyche nimmt“ (Dirschauer 1973, S.72).

Folgerichtig appeliert er nun an den ihm wichtigsten Wert: die menschliche Freiheit als Grundlage für ein freiheitliches humanistisches System. Mit seiner Kritik macht er deutlich, dass er die Problematik in der sowjetischen Politik erkannt hat. Dass er sich trotzdem noch optimistisch für die Zukunft zeigt, machen folgende Worte deutlich:

Vielleicht darf diese kämpfende Generation nur den Optimismus kennen. Aber die nächste –dessen bin ich sicher – wird nicht mehr glauben, die menschliche Einsamkeit sei eine Verschuldung des Kapitalismus, der schauer- und liebevolle Blick auf den Tod eine kleinbürgerliche Marotte, der Schmerz der Liebe ein Ablenkungsmanöver vom Klassenkampf. Diese Generation wird von der Literatur etwas anderes wollen als ein Hohes Lied auf die Kollektivierung der Landwirtschaft. (Mann 1969, S.121)

Seine Haltung ist noch immer eine durchaus wohlwollende; nach dem Moskauer Besuch heißt es: „In meinem Herzen und in meinen Gedanken wechseln Ergriffenheit und Widerspruch miteinander ab. Die Ergriffenheit ist stärker als der Widerspruch“ (ebda., S.121).

In Wendepunkt wird dieser Eindruck dann rückblickend relativiert:

Vieles, was ich in Moskau und während eines kurzen Aufenthalts in Leningrad zu sehen bekam, war geeignet, meinen Respekt vor dem Sowjet-Regime zu erhöhen, gleichzeitig fand ich aber auch meine Einwände bestätigt, meine Bedenken verstärkt. (Mann 1984, S.330)

Zwischen diesen beiden Äußerungen liegen viele Jahre; Klaus Manns Stellung zum Kommunismus hat sich gewandelt. Gründe dafür gibt es viele, unter anderem der deutsch-sowjetische Nichtangriffspakt, der ihm ein völlig neues Bild von der sowjetischen Politik vermittelt und seinen Glauben an eine gemeinsame Volksfront vernichtet.

Am 9. April 1940 schreibt er in einem Brief:

Ich habe mich, seit dem Oktober verstrichenen Jahres, von meinen kommunistischen Freunden trennen müssen. […] Es fällt mir nicht leichter, Ihnen zu sagen, daß ich zwischen uns jene Übereinstimmungen nicht mehr finde, die wir wohl beide für die Voraussetzung einer produktiven Kameradschaft halten. (Mann 1987, S.415)[5]

Dass er dennoch in diesem Oktober, von dem er hier schreibt, in dem von Leopold Schwarzschild herausgegebenen Neuen Tage-Buch als Sowjet-Agent angegriffen wird (Naumann 1984, S.107), ist grotesk. Es soll aber nicht das letzte Mal sein.

Der Kommunismus hat sich dem nach einer politischen Lösung suchenden Klaus Mann als Verkörperung der sozialistischen Ideen präsentiert, konnte dessen Erwartungen aber nicht erfüllen. Er distanziert sich geistig vom Marxismus, glaubt aber weiter

[an] Möglichkeit und Wünschbarkeit einer Zusammenarbeit zwischen Osten und Westen, zwischen Demokratie und Sozialismus – im Dienste, zum Schutz, zur Rettung des unteilbaren Friedens, der unteilbaren, von einem gemeinsamen Feind bedrohten Zivilisation. Ich glaubte an die Möglichkeit und Wünschbarkeit der Einheitsfront aller progressiven, antifaschistischen Intellektuellen. (Mann 1984, S.332)

1945 bis 1949 – Klaus Mann zwischen den Fronten

Für die einen aber, für die,
welche geduldig genug sind, auszuharren,
und wohl auch zu kämpfen –:
wird es wirklich ein so großartiger
Tag sein, wenn er dann schließlich
Kommt? Wird er dann einen so schönen
Trost, eine so herrliche Erlösung bringen?
(Mann 1981, S.340)

Am 8. Mai 1945 kehrte Klaus Mann als Korrespondent für die amerikanische Soldatenzeitung Stars and Stripes nach Deutschland zurück; genau an dem Tag, an dem die deutsche Wehrmacht bedingungslos kapitulierte. Im Wendepunkt beschreibt er das Erlebnis:

Bei unserer Ankunft in Salzburg, am Abend des gleichen Tages, sahen wir an den Kiosken die Extra-Ausgabe der ‚Stars and Stripes‘ mit der großen Überschrift: ‚IT’S ALL OVER HERE! VICTORY IN EUROPE IS OURS…‘ ‚It’s all over‘ Vorbei! Geschafft! Erledigt! Heute denkt und fühlt man nur Uff… (Mann 1984, S.482)

Klaus Mann befragt als Reporter der Stars and Stripes Hermann Göring, den „großen Schuldigen und Oberschurken“ (ebda., S.490), und Richard Strauss, einen „großen Mann – so völlig ohne Größe!“, „dabei stumpf wie der Letzte, wenn es um Fragen der Gesinnung, des Gewissens geht!“ (ebda., S.492). Er besucht Konzentrationslager, spricht mit Opfern und Tätern und muss erkennen:

Nazis, so stellt sich jetzt heraus, hat es in Deutschland nie gegeben; selbst Hermann Göring war im Grunde keiner. Lauter ‚Innere Emigration‘! (ebda., S.500)

In einem Brief an seinen Vater Thomas Mann vom 16. Mai 1945 schreibt er:

It’s all very confusing and somewhat depressing, even though fascinating. Iam only happy that Iam not with P.W.B. anymore and don’t have to stay here and become an editor oft he revived Münchener Neuesten Nachrichten. (Mann 1987, S.539)

Die ist eine ganz klare Revidierung seines ehemals gehegten Wunsches, in Deutschland zu arbeiten. Es bedeutet für ihn, nicht mehr auf Dauer nach Deutschland zurückzukehren. Die Erlebnisse der letzten Tage machen es ihm unmöglich. Er bleibt amerikanischer Staatsbürger und reist in den letzten Lebensjahren zwischen Amerika und Europa hin und her.

Dies hindert ihn aber nicht, sich weiter mit größtem Interesse weltpolitischen Dingen zu widmen. Hitler ist nun geschlagen, im Wendepunkt entwirft Klaus Mann mögliche Orientierungen:

Nun geht es weiter, nächste Episode! Fragt sich nur, in welche Richtung es weitergeht. Dies hängt von uns ab; an jedem Wendepunkt hat man die Wahl. Wir können uns für die richtige Richtung entscheiden oder für die falsche. (Mann 1984, S. 509)

Was er mit ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ meint, erklärt er einige Zeilen später: „Was wollen wir, die geeinte Welt oder die zerstörte?“ (Mann 1984, S.509).

Für ihn gibt es nur das „Entweder-Oder“, das heißt eine „sehr viel schlechtere“ oder eine „entschieden bessere“ Welt. Die beiden großen Mächte, Russen und Amerikaner, halten die Fäden in der Hand; Deutschland soll zwischen beiden „verbinden“ und „versöhnen“, denn jeder „ist mitverantwortlich für die Wahl. […] Neutralität“ ist nicht möglich (vgl. ebda., S.510).

Klaus Mann trifft auch an diesem Punkt die für ihn einzig konsequente Entscheidung: er engagiert sich für eine Verbindung zwischen Ost und West und hofft, „literarisch in das vom Faschismus befreite Land hinein wirken zu können“ (Naumann 1984, S.125).

Mit wenig Erfolg: keines seiner Exilwerke erscheint zu seinen Lebzeiten in Deutschland. Auch bei anderen Exilautoren dauert es einige Jahre, bis ihre Werke nach dem Krieg in Deutschland verlegt werden. Ein Versäumnis der Alliierten, das Klaus Mann zutiefst bedauert; seiner Meinung nach haben gerade die Exilautoren das Recht, positiv auf die deutsche Bevölkerung einzuwirken (vgl. ebda., S.125).

Klaus Mann überträgt in den letzten Lebensjahren die Biographie über Andre Gide sowie die englische Fassung seiner Biographie The Turning Point ins Deutsche. Dabei ist Der Wendepunkt nicht einfach eine Übersetzung der englischen Fassung, es ist vielmehr „ein neues deutsches Buch“ (Mann 1984, S.512), wie Klaus Mann in seiner Nachbemerkung schreibt.

Die Arbeit an diesen beiden Werken hält ihn trotzdem nicht von dem Versuch ab, eine Vermittlerrolle während des beginnenden Kalten Krieges einzunehmen. 1948 reist er nach Prag, um sich ein Bild von der sozialistischen Tschechoslowakei zu machen. Er ist um Ausgleich bemüht, aber sämtliche Bemühungen sind von Hoffnungslosigkeit gekennzeichnet: „In einer Zeit, die die Alternative eines humanen Sozialismus verleugnete, befand sich der zwischen den Klassen stehende Intellektuelle unversehens zwischen den ideologischen Fronten“ (Walter 1969).

In Prag erlebt er den Selbstmord Jan Masaryks, Sohn des Gründers der Tschechoslowakei, Thomas Masaryk, den Klaus Mann sehr verehrte. In dem Essay Die Tragödie Jan Masaryk erläutert Klaus Mann dessen Konflikt, der wohl auch sein eigener ist:

Er liebte das Volk, und er liebte die Demokratie, aber die neue ‚Volksdemokratie‘ war nicht seine Sache. Hätte er sich von ihr lossagen, sie bekämpfen sollen? […] Sollte er für das Kapital optieren, gegen den Sozialismus? (Mann 1969, S.299)

Alexander Stephan beschreibt in seinem Buch über Die deutsche Exilliteratur die Situation der Nachkriegszeit. Der Intellektuelle hatte sich zu entscheiden: Kommunismus oder Kapitalismus. Wer „die politischen Realitäten der Nachkriegszeit nicht sehen wollte, bekam sie früher oder später zu fühlen: im Gefolge der 1946 in der Sowjetunion ausgebrochenen zweiten ‚Shdanowshina‘ oder vor den Schranken des zu gleicher Zeit sein Unwesen treibenden Un-American-Activities Commitees“ (Stephan 1979, S.236).

Er kann „das von ihm überwältigend empfundene Versagen der Intellektuellen, die sich voll in die politisch bestimmte Auseinandersetzung zwischen Sozialismus und Imperialismus einbinden lassen, einbinden lassen müssen“ (Grumbach 1984, S.125), nicht begreifen. Er möchte Neutralität bewahren, was aber für ihn – einen unabhängigen Individualisten – bedeutet, keinen Platz zu finden in der politischen Nachkriegssituation. Und da er sich selbst nicht einordnen will, wird er eben eingeordnet – auf der Titelseite einer Münchner Zeitung muss er sich als ‚Salonbolschewist‘ beschimpfen lassen (Naumann 1984, S.130).

Mit den sozialistischen Gesellschaften kann er sich nicht identifizieren, hier sieht er „den liberalen Freiheitsanspruch nicht ausreichend realisiert“ (ebda., S.128), die Amerikaner beschimpfen ihn als Kommunist. Wo soll er sich da zuordnen?

Klaus Mann ist verzweifelt angesichts der politischen Entwicklung jener Jahre. Er, der jahrelang gegen den Faschismus gekämpft hat, hofft anfangs auf eine bessere Entwicklung nach der Beendigung des Krieges. Vor allen Dingen auf eineEinbeziehung der Emigranten. Als dies nicht eintrifft, die Spaltung der beiden großen Mächte sich sogar noch weiter verstärkt, ist er tief deprimiert: Nach dem Kriegsende hat sich Klaus Mann nicht mehr in demselben Sinn geäußert wie vorher, er hat „fast alle Hoffnungen aufgegeben, die er in der Zeit des Kampfes gegen Hitler hatte“ (Grunewald 1985, S.151).

Das Gefühl, nach den Jahren intensiven Engagements nicht mehr gebraucht zu werden, deprimiert ihn stark. Seine Bücher erscheinen zu seinen Lebzeiten im Nachkriegsdeutschland nicht; neue Ideen bleiben, bis auf den Essay Die Heimsuchung des europäischen Geistes, Fragment, auch der Roman The Last Day, an dem er zuletzt arbeitet.

Uwe Naumann schreibt, dass er nach dem Krieg einen eigenen künstlerischen Stil nicht mehr findet (Naumann 1984, S.129), ein „Anschluß an das epische Schaffen der Emigration fehlt“ (Schneider 1956, S.1118). Nach dem Kampf gegen den Faschismus muss er eine Leere fühlen, die zu überwinden er die Kraft nicht mehr hat. Er hätte einen neuen Kampf führen müssen, dessen Sinnlosigkeit er vielleicht ahnt. Die Vergeblichkeit seiner Bemühungen während der Exiljahre ist ihm eine Warnung.

Die Heimsuchung des europäischen Geistes

Sein letzter Essay Die Heimsuchung des europäischen Geistes, entstanden 1949, gibt Aufschluss über seine Verzweiflung angesichts der politischen Situation und der Sinnlosigkeit seiner eigenen Rolle als dritte verbindende Macht, ‚Troisieme Force‘, wie er sie in diesem Essay bezeichnet (Mann 1969, S.330). Klaus Mann beschreibt die politische Lage jener Zeit sehr treffend, eine Zeit, in der die „europäische Luft widerhallt von falschen Glaubensbekenntnissen, trunkener Rhetorik, sich gegenseitig aufhebenden Argumenten, wütenden Anklagen“ (ebda., S.317) an der auch die Intellektuellen teilhaben: „Neutralität, Weisheit, Objektivität, gelten als Hochverrat“ (ebda., S.330).

Sicher gibt es auch Vertreter der dritten Macht – die der Vermittler – zu der sich Klaus Mann selbst zählt; aber sie haben keine Macht mehr in einer Zeit sich bekämpfender Ideologien.

Einen Studenten aus Uppsala lässt Klaus Mann Worte sagen, die seine eigenen sind – Ausdruck seiner Resignation. Für unabhängige Intellektuelle wie ihn gibt es keinen Platz mehr:

Wir sind geschlagen, wir sind fertig, geben wir es doch endlich zu: Der Kampf zwischen den beiden anti-geistigen Riesenmächten – dem amerikanischen Geld und dem russischen Fanatismus – läßt keinen Raum mehr für intellektuelle Unabhängigkeit und Integrität. (ebda., S.336–337)

Da ergibt sich für ihn folgende Konsequenz:

Wir sind an einem Punkt angelangt, wo nur die dramatischste, die äußerste Geste noch irgend Aussicht hat, bemerkt zu werden und den blinden, hypnotisierten Massen ins Gesicht zu reden. (ebda., S.337)

Damit meint er die Nachfolge von Ernst Toller und Stefan Zweig, eine ‚Selbstmordwelle‘ aller Intellektuellen. Aber Klaus Mann hat hier wohl die Weltöffentlichkeit überschätzt.

Klaus Manns Idee eines kollektiven Selbstmords verbirgt zugleich wieder seine Sehnsucht nach einer Gemeinschaft; selbst in einem Entwurf von solcher Radikalität drückt sich noch ein für sein ganzes Leben bestimmender Wunsch aus: Mitglied einer Gemeinschaft zu sein, mit der man sich identifizieren kann. Er „war noch für diesen Moment radikalster Vereinzelung um den Anschluß an irgendeine Gemeinschaft […] bemüht“ (Naumann 1984, S.133).



* Marcin Gołaszewski, Univ.-Prof. Dr. habil., Universität Łódź, Institut für Germanische Philologie, Pomorska 171/173, 90-236 Łódź. E-mail: marcin.golaszewski@uni.lodz.pl




LITERATURVERZEICHNIS

Eddy B.D. (2018), Erika und Klaus Mann. New York u.a.

Dirschauer W. (1973), Klaus Mann und das Exil. Worms.

Gołaszewski M. (2018), Die tödliche Wunde bei Klaus Mann. In: L.Kolago (Hrsg.) „Studia Niemcoznawcze – Studien zur Deutschkunde“, Nr. 61. Warschau, S.543–554.

Grumbach D. (1984), Kämpfen ohne Hoffnung – Leben und Politik bei Klaus Mann. „Kürbiskern“, Nr. 3, S.119–125.

Grunewald M. (1985), Klaus Mann und das politische Engagement. In: K.Mann, Mit dem Blick nach Deutschland. Der Schriftsteller und das politische Engagement. München.

Kröhnke F. (1981), Propaganda für Klaus Mann. Frankfurt am Main.

Laemmle P. (1989), Nachwort. In: K.Mann, Tagebücher 1931–1933. München, S.189–207.

Mann K. (1969), Die Heimsuchung des europäischen Geistes. In: K.Mann, Heute und Morgen, München, S.317–338.

Mann K. (1969), Die Tragödie Jan Masaryk. In: K.Mann, Heute und Morgen, München, S.293–300.

Mann K. (1969), Notizen in Moskau. In. K.Mann, Heute und Morgen. München, S.107–122.

Mann K. (1980), Der Kampf um den jungen Menschen. In: K.Mann, Woher wir kommen und wohin wir müssen. München: Anmerkungen.

Mann K. (1980), Woher wir kommen und wohin wir müssen. München: Anmerkungen.

Mann K. (1984), Der Wendepunkt. Ein Lebensbericht. Hamburg.

Mann K. (1986), Kind dieser Zeit. Hamburg.

Mann K. (1987), Briefe und Antworten 1922–1949. München.

Mann K. (1989), Tagebücher 1934–1935. München.

Mann T. (1981), Der Vulkan – Roman unter Emigranten. Hamburg.

Mattenklott G. (1979), Homosexualität und Politik bei Klaus Mann. In: U.Naumann, Sammlung. Jahrbuch für antifaschistische Literatur und Kunst. Bd. 2. Frankfurt am Main, S.29–38.

Naumann U. (1984), Klaus Mann. Hamburg.

Schiller D. (1983), Geistige Differenz und politische Disziplin. Klaus Mann zwischen 1930 und 1935. In: S.Schlenstedt (Hrsg.), Wer schreibt, handelt. Berlin–Weimar.

Schneider R. (1956), Klaus Mann. In: Aufbau, Jhrg. 12, S.1105–1119.

Stephan A. (1979), Die deutsche Exilliteratur 1933–1945. München.

Walter H.A. (1969), Ein Bürger verläßt seine Klasse. „Die Zeit“, Nr. 41 vom 10. Oktober 1969, Literaturbeilage.

Wegner M. (1967), Exil und Literatur. Frankfurt am Main.

Weil B. (1983), Klaus Mann: Leben und literarisches Werk im Exil. Frankfurt am Maine.


Fußnoten

  1. In einem Brief an Walter A.Berendsohn vom 11. Oktober 1933, in dem er sich für einen Aufsatz bedankt, den dieser ihm für die Sammlung schickte, heißt es: „Es könnte und sollte für viele Bürger, die an Goethe und Kant glauben, aber Marx für teuflisch halten, eine Lehre sein, wie Sie den deutschen Humanismus und den Sozialismus geistig zueinanderbringen“ (Mann 1987, S.147).
  2. Diese Rede erschien unter anderem auch unter dem Titel Der sozialistische Humanismus (vgl. Mann 1980, S.283).
  3. Da die Schriftsteller, die 1933 ins Exil gingen, ihren Kampf gegen Hitler wirksam beginnen wollten, bot sich dafür dessen stärkster Gegner an: der Kommunismus, der schon in den ersten Monaten nach der Machtergreifung versuchte, eine antifaschistische Einheitsfront der Autoren zu bilden. An der Gründungsversammlung der Deutschen Volksfront nahm auch Klaus Mann teil. Von Anfang an zeigten sich aber starke politische Gegensätze unter den emigrierten Schriftstellern; sie führten schließlich zu einer Spaltung und der Gründung einer Gegenvereinigung, dem Bund Freie Presse und Literatur, dem auch Klaus Mann beitrat. Bereits 1937 stand die Volksfront-Bewegung vollkommen unter kommunistischem Einfluss und die meisten bürgerlichen Intellektuellen zogen sich zurück. Weitere Bemühungen einzelner Autoren zur Gründung einer Einheitsbewegung scheiterten, und so kam eine Einigung nie zustande (vgl. Berglund 1972, S.48–530).
  4. Eintrag vom 19. August 1934.
  5. Brief an Hubertus Prinz zu Löwenstein.

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