(Summary)
The basic part of the article is devoted to the nature and the modalities of use of eponyms, whereby terminological problems are also touched upon – preferably against the background of acontrastive analysis, which is also only implicit. In this context, aconsistent differentiation is made between eponyms and deonyms in order to accommodate the disambiguation needs of the former in German. The use of deonyms will be exemplified primarily on the basis of scientific and culinary terminology, where deonyms (in part) perform different functions in each case.
Keywords: thing, deonym, deonomastic, eponym, taxonym, nomination
„Nomination ist Referenz plus – vor allem – Wertungspragmatik“ (Bellmann 1996, S.11). „Nominationsakt [ist] dann geglückt, wenn der Rezipient nicht nur versteht, von welchem Objekt der Nominator spricht, sondern wenn er zugleich die Einstellung des Nominators zum persönlichen oder unpersönlichen Referenzobjekt erfährt“ (Stopyra 2016, S.64).[1]
Die uns umgebenden Objekte der außersprachlichen Wirklichkeit mit dem dichotomischen Merkmal [-hum] scheinen auf Anhieb im Hinblick auf die emotionale Dimension deren Wahrnehmung ziemlich einerlei zu sein. Nach der Lektüre einer interdisziplinären Studie –„Vom Leben der Dinge“ (La vita delle cose) – von Remo Bodei (2016) wird man allerdings eines Besseren belehrt. Der Verfasser differenziert nämlich zwischen Sachen (ital. cosa) und Gegenständen. Obwohl er zwar für cosa selber – wenn es darauf ankommt – das deutsche Äquivalent Sache gebraucht, wird es hier vorzugsweise auf Ding abgesehen. Dies erhellt aus dem etymologischen Hergang der beiden Wörter. Sache ist nämlich juristischer Provenienz und versteht sich ursprünglich als Gegenstand einer strafgerichtlichen Ermittlung bzw. Gerichtsverhandlung.[2] Demgegenüber beinhaltet Ding ursprünglich ‘Gespräch’[3] – wie es noch im „Hildebrandslied“ nachweisbar bezeugt wird (zit. nach https://www.justsomelyrics.com/649087/menhir-das-hildebrandslied-teil-i-lyrics.html):
«wettu irmingot», quad Hiltibrant «obana ab heuane,
dat du neo dana halt mit sus sippan man dinc ni gileitos»[4]
Dies mag nahelegen, dass Dinge anders als Gegenstände sich im gesellschaftlichen Diskurs und nicht zuletzt im tagtäglichen Gespräch einer großen – vorzugsweise kollektivsymbolischen (im Sinne von Fleischer 2021) – und nachhaltigen Wertschätzung erfreuen[5], wohingegen Gegenstände daraus meist ausgeschlossen bleiben, zumal sie ggf. ohnehin namenslos sind und zur Not lediglich mit einem Allerweltswort, wie etwa Dingsda[6], angesprochen werden können. In Bodei (2016, S.67) wird in diesem Zusammenhang Martin Heideggers – mit Żychliński (2006) zu sprechen – „dichterische [d.h. sprachkreative] Philosophie“ zitiert, wonach sich Dinge von Gegenständen dadurch unterscheiden, dass der Inbegriff der Letzteren – allen voran der Rohstoffe – in deren bloßem „Vorhandensein“ liegt, während die anderen – die Dinge – für deren „Zuhandensein“ (Heidegger 2007, S.166 f., zit nach Bodei, ebda), d.h. enge, darunter nicht zuletzt symbolische Relation zum Menschen charakteristisch sind. Die Grenze zwischen Dingen und Gegenständen ist im Laufe des technischen genauso wie gesellschaftlichen Fortschritts diffus, wobei auch Rückschläge nicht auszuschließen seien (vgl. Bodei 2016, S.37). Als anschauliches Beispiel kann etwa auf Zinn verwiesen werden, dessen „silberweiß glänzendes“ Erscheinungsbild zeitweise – sogar noch bis ins 19. Jh. hinein – für eine Konkurrenz gegenüber Silber bei der Herstellung „weit verbreiteter Gebrauchs- und Ziergegenstände für bürgerliche Haushalte“ sorgte – bis es in dieser Eigenschaft völlig ausgedient hat, während Brauchbarkeit und Symbolträchtigkeit des Silbers intakt geblieben bzw. erst recht aufgewertet worden ist (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/Zinn).
Der Dingstatus kommt nicht zuletzt in Form von Eponymen zur Sprache. Vor dem Hintergrund der hier mitschwingenden, wenn auch nicht direkt intendierten kontrastiven Analyse sei zunächst darauf hingewiesen, dass der Begriff ‘Eponym’ im Deutschen – etwa im Unterschied zum Polnischen – disambiguierungsbedürftig ist. Im Deutschen kommt ‘Eponym’ nämlich in zwei distinktiven Lesarten vor. Einmal handelt es sich um aus Eigennamen abgeleitete Appellativa (Gattungsnamen), zum anderen um namensgebende Nomina propria (Eigennamen) selbst, die den daraus abgeleiteten Appellativa zugrunde liegen. Deshalb wird in Schweickard (1992, S.4) dafür plädiert, ‘Eponym’ im ersteren Sinne durch ‘Deonym’ zu ersetzen, um Missverständnissen vorzusorgen[7], was hier auch befolgt werden soll. Hinzu kommt, dass Deonym (und nicht Eponym) namensgebend für eine wichtige Teildisziplin der Onomastik – die Deonomastik – ist (vgl. etwa Schweickard 1992; Chambon 2002).
Deonyme als Nominationsformen der Dinge weisen unübersehbar auf deren feste Einbindung in die Geschichte – die Zeitgeschichte mit inbegriffen – hin. Als kreierte Objekte materieller bzw. geistiger Natur stellen sie einen Mehrwert gegenüber den meist urwüchsigen Gegenständen dar, die erst vom kreativen Eingriff des Menschen geformt sein wollen (vgl. Bodei 2016, S.39). Daher wundert es nicht, dass in den Nominationsformen für Dinge oft auch deren Schöpfer (Wissenschaftler, Erfinder, Entdecker, Konstrukteure, Dichter u.a.m.) mit bedacht werden – sodass diese Nominationen nicht zuletzt halt als Deonyme konzipiert sind.
Über https://de.wikipedia.org/wiki/Deonyme_nach_Sachgebiet können repräsentative Listen von Deonymen nach Sachgebieten sortiert verfolgt werden, die bei weitem keine Vollständigkeit beanspruchen. So heißt es z. B. bezüglich der auf Eponyme der Mathematiker zurückgehenden Deonyme wie folgt: „Da allein nachLeonhard EulerundCarl Friedrich Gaußjeweils über 20 [De]onyme gebildet wurden, würden diese Beispiele den Rahmen [der Liste] sprengen“ (ebda). Aber selbst die den beiden erwähnten Mathematikern verpflichteten Deonyme werden hier verständlicherweise nicht aufgeführt, da sie einem Philologen ohnehin wie ein Buch mit sieben Siegeln vorkommen würden. Fest steht allerdings, dass sie sich über ihre referentielle Funktion hinaus auch für einen Philologen zugleich als Zeichen der Würdigung und Ehrung der beiden Koryphäen verstehen – genauso wie die nach ihnen benannten Mondkrater, zumal sie sich ebenfalls für die Astronomie verdient gemacht haben.
Aber auch in den wissenschaftlichen Deonymen geht es nicht immer um Würdigung und Ehrung. Oft gilt es, dadurch wirksam und einer Idee dienlich zu sein, wofür sich die Namen von Koryphäen nicht unbedingt eignen müssen, weil jene im Regelfall einem breiteren Publikum ohnehin unbekannt sind. Dafür eignen sich hingegen nicht zuletzt etwa Protagonisten weltbekannter Werke der schöngeistigen Literatur bzw. die namhaften Schöpfer dieser Werke viel besser. Darauf haben es auch die Biologen dem Artenschutz zuliebe abgesehen, zumal es sich meist um solche Arten handelt, die den Laien nicht unbedingt am Herzen liegen – Schmetterlinge bzw. Spinnen. Unter den Ersteren geht es u.a. um eine unscheinbare blaue Spezies, zumal sie – insbesondere in ihren Entwicklungsstadien vor der Verpuppung – als Schädling gilt. Deshalb versprechen sich die Biologen viel von der Umbenennung ihres Taxonyms unter dem Hinweis auf die Titelheldin des weltbekannten Romans Vladimir Nabokovs Lolita – das Taxonym lautet nunmehr Madeleinea lolita (vgl. https://ru.wikipedia.org/wiki/Madeleinea_lolita). Dafür spricht auch der Umstand, dass der Verfasser des Romans, Vladimir Nabokov, selbst ein passionierter Entomologe, vorzugsweise Lepidopterologe (Schmetterlingkundler), war:
Unter der Anleitung seines naturwissenschaftlich tätigen Vaters sammelte [Vladimir Nabokov] seit seiner Kindheit Insekten, vorrangig Schmetterlinge. Seine private Schmetterlingssammlung umfasste etwa 4500 Einzelstücke. Zwanzig Schmetterlingsarten hatte er neu entdeckt, erstmals beschrieben und nach sich benannt, zum BeispielCarterocephalus canopunctatus Nabokov(1941),Icaricia Nabokov(1945) oderPseudochrysops Nabokov(1945). Nabokov arbeitete zwischen 1940 und 1948 alsKuratorder Schmetterlingssammlung imZoologischen MuseumderHarvard Universityund veröffentlichte eine Reihe vontaxonomischenZeitschriftenbeiträgen. Mehr als 150 seiner wissenschaftlichen Zeichnungen wurden 2016 zusammen mit Essays über Nabokovs Arbeit veröffentlicht. (https://de.wikipedia.org/wiki/Vladimir_Nabokov)
Wie gesagt, werden dafür auch namhafte Schriftsteller herangezogen. Erwähnt wurde bereits Vladimir Nabokov, aber deren Zahl ist groß und es kommen ständig neue hinzu. Darunter gibt es auch welche, deren Ruhm mit der Zeit etwas verblasst, aber bei Weitem nicht verkannt ist. Dies trifft bspw. auf Rudyard Kipling (1865–1936), britischen Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger von 1907 zu, dessen Bestseller „Das Dschungelbuch“ nicht nur dank seiner Zeitgenossen es auch zum Longseller gebracht hat – und es bis heute bleibt. Sein Name wurde demzufolge zum Eponym, das u.a. auch dem Taxonym einer Spinne – Bagheera kiplingi – zugrunde liegt. Man kann sogar sagen, dass das Taxonym sich Kipling sogar in zweifacher Weise verdankt: „Der Gattungsname leitet sich von dem Namen des schwarzenPanthersBagheeraausRudyard Kiplings›Das Dschungelbuch‹ab, das Artepitheton vom Nachnamen des Autors“ (https://de.wikipedia.org/wiki/Bagheera_kiplingi). Man muss aber bedenken, dass diese Spezies den Aufwand an Einfallsreichtum und Erfindergeist der Biologen sehr wohl verdient hat, weil sie sich für eine Spinne einmalig zum weitaus überwiegenden Teil vegetarisch ernährt:
Die Springspinne ernährt sich zu 60 bis 90 Prozent von eiweiß- und fettreichen Futterkörpern bestimmterAkazien. Diese Futterkörper dienen primär densymbiotischauf diesen Akazien lebendenAmeisenarten als Nahrungsgrundlage, wobei die Akazien von den Ameisen vor Fressfeinden geschützt werden. Weitere Nahrungsbestandteile sind Nektar, gelegentlich Ameisen und deren Larven und kleine, sich von Nektar ernährende Fliegenarten. Die Spinne lebt ganzjährig auf älteren Ästen der Akazien, die nur sehr wenige der nährstoffhaltigen Futterkörper ausbilden und daher auch selten von Ameisen besucht werden, und pflanzt sich dort auch fort. Zur Nahrungssuche begibt sie sich auf junge Triebe, die viele Futterkörper ausbilden, und kommt dabei in Kontakt mit den Ameisen, wobei sie sich durch ihre ameisenähnliche Bewegungsweise tarnt und durch sehr rasche Bewegungen und ein flexibles Ausweichverhalten der Verfolgung entzieht. Die Jungtiere vonBagheera kiplingiähneln im Aussehen den auf den Akazien lebenden Ameisen. DiesesMimikryschützt sie vor Fressfeinden und womöglich zusätzlich vor den Ameisen selbst. (https://de.wikipedia.org/wiki/Bagheera_kiplingi)
Eine andere vom Aussterben bedrohte Spinnengattung umfasst mehrere Arten, von denen die zuerst erforschte nach einem prominenten Vertreter der Rock-undPopmusik benannt wurde. Es handelt sich um David Bowie (1947–2016), britischenMusiker,Sänger,ProduzentundSchauspieler, der in seiner annähernd 50Jahre dauernden Karriere mit 26Studioalben einer der einflussreichsten und mit rund 140Millionen verkauften Tonträgern auch kommerziell überaus erfolgreich war (vgl. https://de.wikipedia.org/wiki/David_Bowie). Das Taxonym der Spinne aus der Familie derRiesenkrabbenspinnen(Sparassidae) mit dem David Bowie zugedachten Dedikationsnamen als Artepitheton lautet Heteropoda_davidbowie – um „größere Aufmerksamkeit auf die neu beschriebene Art zu lenken“ [fett von W.S.] (https://de.wikipedia.org/wiki/Heteropoda_davidbowie):
Die Gründe für die Auswahl eines Artennamens nach einer prominenten Person können unterschiedlich sein. Im Falle vonHeteropoda davidbowiesoll zusammen mit anderen vom Arachnologen Peter Jäger zur gleichen Zeit erstbeschriebenen Arten der Gattung durch die erhoffte erhöhte Aufmerksamkeiten der Artnamen auf den Rückgang natürlicher Lebensräume und somit einer Gefährdung der Artenvielfalt hingewiesen werden. (ebda)
Auch bei anderen Arten dieser Gattung mit einem jeweils anderen Dedikationsnamen als Artepitheton wurde es aus denselben Gründen auf die hochkarätige Prominenz der Popmusik und der Unterhaltungsszene abgesehen, anstatt wie sonst üblich den dahinter stehenden Arachnologen Peter Jäger zu setzen und dessen Verdienste für Entdeckung und taxonomiegerechte Beschreibung zu würdigen (ebda):
Heteropoda helge– als Anspielung auf denKabarettistenHelge Schneider;
Heteropoda hildebrandti – benannt nachDieter Hildebrandt;
Heteropoda ninahagen – nach der SängerinNina Hagen;
Heteropoda richlingi– als Anspielung aufMathias Richling;
Heteropoda udolindenberg – benannt nach dem SängerUdo Lindenberg.
In etwa analog ist es auch um eingetragene Deonyme als Nomination der Handelswaren bestellt, wo es sich im Regelfall genauso wie in vorhin abgerufenen Artepitheta nicht um Würdigung oder Ehrung handelt. Während aber dort, wie dargelegt, eher die erhoffte Sensibilisierung für vermittelt zweckdienliche Wohltätigkeit gegenüber der Fauna im Vordergrund steht, geht es hier des guten Absatzes halber um gezielte Verbürgung der Qualität. Man denke etwa an ‘Kärcher’ vs. ‘Hochdruckreiniger’ schlechthin. Das Deonym ‘Kärcher’ geht auf das Eponym Alfred Kärcher zurück, das für einen Selfmademan und Erfolgsmenschen stehen mag, dem ebenfalls als Hersteller und zuverlässiger Vermarktungspartner Vertrauen zu schenken ist:
Der erste Dampfstrahlreiniger stammt aus denUSA.Als nach demZweiten Weltkriegin derAmerikanischen Besatzungszonedie Geräte von derUS-Armeeeingesetzt wurden, wurden diese vonAlfred Kärcher, dem Gründer des UnternehmensKärcher, im Auftrag der US-Armee gewartet und repariert. Aus diesen Geräten entwickelte er 1950 den ersten europäischen Hochdruckreiniger, den DS 350. Er verbesserte das bis dahin gängigeDampfreinigungsverfahren, indem er in den Dampfkreislauf eine Pumpe vorschaltete und aufgrund des entstehenden Drucks die Reinigungskraft der Geräte wesentlich verbessern konnte. Heutzutage wird sein (Marken-) Name bzw. derNeologismuskärchernumgangssprachlich häufig alsGattungsnamefür Hochdruckreiniger im Allgemeinen verwendet. (https://de.wikipedia.org/wiki/Hochdruckreiniger)
Das Deonym ‘Kärcher’ mag auf der Folie des Markennamens ‘Dr. Oetker’ entstanden sein – ursprünglich von August Oetker (1862–1918) für Herstellung und Vertrieb „preisgekrönter Rezepte für Haus und Küche“ (Oetker 1895) konzipiert. Wie später Alfred Kärcher kann er ebenfalls Selfmademan und Erfolgsmensch genannt werden. „Ab 1893 füllte Oetker sein Backpulver ab, dem er den Namen „Backin“ gab und legte damit den Grundstein für dieOetker-Gruppe, die es noch heute in unveränderter Rezeptur herstellt“ (https://de.wikipedia.org/wiki/August_Oetker). Aber er huldigte offenbar dem Prinzip: Wenn man sich nicht entwickelt, treibt man zurück:
Bereits ein Jahr später wurde das Sortiment mit den „Original-Puddings“ erweitert. Der Erfolg dieser ersten Schritte im Verkauf war darauf zurückzuführen, dass August Oetker von Beginn an eine klare Marketingstrategie verfolgte. So wurde den Produkten kostenlose Anwendungsbeispiele, Rezepte und Empfehlungen beigelegt. In Versuchs- und Vorführküchen wurde die garantierte Wirksamkeit der Produkte demonstriert. Gezielte Werbeslogans wurden eingesetzt und seit 1899 das bis heute bekannte „Dr. Oetker“-Warenzeichen verwendet. Gefördert wurde der Verkauf der Dr.-Oetker-Produkte 1908 durch den Aufbau einer eigenen Werbeabteilung, deren Budget ca. 6% des Umsatzes betrug. 1910 wurden die ersten Dr.-Oetker-Kochbücher verlegt und eigens zur weiteren Verbreitung ein Kino-Werbefilm „Backpulver, was sonst“ hergestellt und verbreitet.[…] Ab 1903 gehörte August Oetker mit zu den Begründern eines „Verbandes der Fabrikanten von Markenartikeln“. (ebda)
Als promovierter Botaniker begann er im Markenzeichen der Firma „Dr. Oetker“ konsequent den Doktorgrad zu führen und dies ist bis heute als bewährtes Zeichen der Güte und Qualität so geblieben.
Eine besondere Rolle spielen Deonyme bei der Benennung von kulinarischen Gourmandisen – vorzugsweise mit Bezug auf die Haute Cuisine bzw. um ihnen einen Hauch davon zu verleihen. Substanzhaltiges dazu ist in Kałasznik / Szczęk (2020, S.148–161) nachzulesen. Auch hier geht es nicht um Würdigung und Ehrung, was nicht zuletzt daraus erhellt, dass in der Rolle der Quasi-Eponyme ebenfalls fiktive Personen herangezogen werden (vgl. ebda, S.161). Aber auch im Falle wirklicher Personen sind es in der Regel etwa keine noch so verdienstvollen, aber oft zurückgezogen lebenden Akademiker und namhaften Gelehrten[8] der Gegenwart bzw. Vergangenheit, sondern vielmehr dem lebemännischen Stil mit Leib und Seele verschriebene reelle bzw. auch fiktive Vertreter der mondänen Sphären – darunter nicht zuletzt die der bildenden und der darstellenden Künste. Demzufolge soll damit die Einbildungskraft und Phantasie zur Sprache kommen, um dem langsamen – im Sinne von gepflegtem Slow Food – um nicht zu sagen gar beschaulichen Genuss möglichst zuträglich zu sein. Im Folgenden sollen hierfür ein paar repräsentative und nach Möglichkeit ausgefallene Beispiele gebracht werden.
Wir beginnen halt mit einem Deonym, das auf ein fiktives Eponym zurückgeht. Es handelt sich um ein Dessert mit einem auf Deutsch eher bescheiden lautenden sprachlichen Outfit – nämlich Birne Helene (auf Französisch, in seinem Ursprungsland, heißt es wohl ansprechender: Poire belle Hélène). Für Operettenliebhaber ist es allerdings schön genug, weil der Name auf die Hauptfigur Jacques OffenbachsOperette„Die schöne Helena” zurückgeht. Dies wird sogar durch deren heute üblicherweise bescheidenere Auftischung kaum tangiert.[9] Wie doch die Franzosen sagen: L’essentielestinvisible pourlesyeux – „Das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar“. Man sieht nur mit dem Herzen gut. Und im Herzen bleibt doch nach wie vor das Originalrezept bewahrt:
Im Originalrezept werden frische, geschälteBirneninLäuterzuckerpochiert, nach dem Auskühlen auf Vanilleeis angerichtet und mit kandierten Veilchen bestreut. Dazu wird eine heißeSchokoladensaucegesondert gereicht. Das Dessert wurde um 1870 vonAuguste Escoffierkreiert, als Jacques Offenbachs Operette Die schöne Helena in Paris aufgeführt wurde. (https://de.wikipedia.org/wiki/Birne_Helene)
Nach der Vertreterin der kurzgeschürzten Muse sei nun etwas Herzhafteres von einer Opernsängerin serviert. Es sind Lucca-Augen: „mitTatar,KaviarundAusternbelegteToastbrotscheiben”. Deren Zubereitungsrezept sieht wie folgt aus:
Erfunden wurden sie von einem Küchenchef des Berliner HotelsKempinskizu Ehren der 1842 geborenenPauline Lucca, einer Schülerin vonGiacomo Meyerbeer. Zur Zubereitung wird aus rohem, gehacktem Rinderfilet,Eigelb,Zwiebeln,Salz,PfefferundWorcestersauceTatar angemacht, auf eine Scheibe geröstetes Toastbrot gesetzt, mit einer entbarteten Auster ergänzt und mit Kaviar garniert, so dass die Brote wie Augen aussehen. (https://de.wikipedia.org/wiki/Lucca-Augen)
Des Weiteren sei eine berühmte Torte an der Reihe, um deren Markenrecht seit 1938 über Jahre hinweg prozessiert wurde, was zu einem überraschenden Urteil führte. Es handelt sich um Sachertorte. Hier kann man schlecht sagen, dass deren Name auf ein berühmtes Eponym zurückgeht. Vielmehr hat die berühmt gewordene Torte ihr Eponym kreiert – so absurd es auch anmuten mag:
Die Geschichte der eigentlichen Sachertorte beginnt, alsFürst Metternichseine Hofküche im Jahr 1832 beauftragte, für sich und seine hochrangigen Gäste ein besonderes Dessert zu kreieren. ›Dass er mir aber keine Schand’ macht, heut Abend!‹ sagte er. Doch der Chefkoch war krank und so musste der 16-jährige BurscheFranz Sacher(1816–1907), damals Lehrling im zweiten Jahr, die Aufgabe übernehmen und erfand die Grundform der Sachertorte. […] Über die Verwendung der Bezeichnung ›Original Sacher-Torte‹ entbrannte ein Rechtsstreit zwischen dem Hotel Sacher und dem Hofzuckerbäcker Demel. […] Im Jahr 1963 kam es zu einer außergerichtlichen Einigung: Die Bezeichnung ›Original Sacher-Torte‹ wurde dem Hotel Sacher vorbehalten, während der Demel seine Torte mit einem dreieckigen Siegel mit der Aufschrift ›Eduard Sacher-Torte‹ schmückte. Inzwischen trägt Letztere, im Volksmund nach 1963 auch ›Echte Sacher-Torte‹ genannt, im Sprachgebrauch der Firma Demel den Namen ›Demel’s Sachertorte‹. (https://de.wikipedia.org/wiki/Sachertorte)
Unter den hier gebrachten kulinarischen Deonymen wäre somit Sachertorte das einzige, wo das zugrundeliegende Eponym mit deren reellem, wenn auch nur zufälligem Erfinder zusammenfällt. Ansonsten werden die Eponyme halt lediglich als werbungsdienliche und der Einbildungskraft zuträgliche Namensgeber herangezogen. Nicht anders als Namensgeber des mundigen Beefsteaks Tournedos Rossini wird auch der Name des berühmten italienischen Opernkomponisten und für seine Leibesfülle bekannten Gourmets in einem für die nachstehend präsentierte Gourmandise verwertet:
Tournedos Rossinibezeichnet eine klassischeGarniturbeziehungsweise Zubereitungsart eines Filet-Steaks. Die kleinen Rinderfiletschnitten werden hierbei einzeln gebraten, mit einer großzügigen Scheibe gebratenerGänsestopfleberbelegt und mit gehobelten schwarzenTrüffelnbestreut. Vollendet wird das Gericht mit einerMadeirasauceoderAlbufera-Sauce. Tournedos Rossiniwurde vom Küchenchef des Pariser Restaurants Maison dorée, Casimir Moisson, kreiert und ist nach dem KomponistenGioachino Rossinibenannt. (https://de.wikipedia.org/wiki/Tournedos_Rossini)
Auch Bismarckheringwurde nicht von dem Reichskanzler als dessen Eponymträger erfunden geschweige denn persönlich kreiert, aber er soll ihm der Überlieferung zufolge wenigstens sehr gut gemundet haben, was für sein Renommee nicht ohne Bedeutung gewesen sein mag (https://de.wikipedia.org/wiki/Bismarckhering#cite_ref-2):
Darüber, wie der Bismarckhering zu seinem Namen kam, gibt es verschiedene Geschichten, die marketingbegründet immer wieder kontrovers diskutiert werden:
(1) Der Name Bismarckhering geht auf den deutschenReichskanzlerOtto von Bismarck(1815–1898) zurück, der diese Art der Heringszubereitung sehr gemocht haben soll. Er soll gesagt haben: „Wenn Heringe genauso teuer wären wieKaviar, würden ihn die Leute weitaus mehr schätzen“. (Heimansberg 1996, 255 f.)
(2) Eine ähnliche Erklärung hatRoger Rössing. Bismarck soll gesagt haben: „Wenn der Hering so teuer wie der Hummer wäre, gälte er mit Sicherheit in den höchsten Kreisen als Delikatesse“. (Rössing, Roger (2013, 107))
(3) Nach anderen Angaben soll es 1864 ein Wirt ausFlensburggewesen sein, der Bismarck seinen Hering während eines Frontbesuches imdeutsch-dänischen Kriegservierte und weil dieser sehr zufrieden mit seiner Heringszubereitung gewesen sei, den Fisch seitdem als Bismarckhering auf seiner Speisekarte führte. (Welt Online, 3. November 2012: „Wie Fürst Bismarck zu seinem Hering kam“; vgl. auch Foede 2009)
(4) Einer weiteren Geschichte zufolge soll derStralsunderFischhändler Johann Wiechmann 1871 dem Reichskanzler ein Fässchen mit Hering zugesandt haben, worauf Bismarck ihm schriftlich dasPrivilegerteilt habe, die sauer eingelegten Heringsfilets künftig als Bismarckhering zu vermarkten. Das besagte Beweisschreiben Bismarcks sei durch denBombenangriff auf Stralsund am 6.Oktober 1944vernichtet worden. Im Jahr 2008 bestätigten Angehörige der Familie von Bismarck, dass diese nach dem Rezept von Johann Wiechmann eingelegten Heringsfilets auch weiterhin Bismarckhering genannt werden dürfen.
Solche Beispiele könnte man fast ins Unendliche mehren – Interessierte finden in der auch hier aufgelisteten bzw. darüber hinausgehenden kulinarischen Literatur genug Aufschluss.
Zusammenfassend halten wir fest, dass Deonyme nicht zuletzt dazu dienen, die oft namenslosen bzw. unreflektierten Gegenstände aus dem Schatten hervorkommen resp. aus dem Dornröschenschlaf erwachen zu lassen – um die Welt der Dinge zu bereichern. Es wurde aber darüber hinaus gezeigt, dass sie auch viele andere Aspekte wahrnehmen. In der Sprachkognition ist vorzugsweise deren offensichtliche Rolle bei allerlei Urheberwürdigung und -ehrung bedacht, ohne dass den damit gekoppelten Begleiterscheinungen gebührend Rechnung getragen wird – die Werbung oder gar Wohltätigkeit nicht ausgeschlossen. Eine weiter angelegte korpusbasierte Analyse würde sicherlich noch weitere Aspekte erschließen bzw. in Aussicht stellen lassen.
Bellmann G. (1966), Der Beitritt als Wende: Referenz und Nomination. Berlin–Boston: De Gruyter.
Bodei R. (2016), Ożyciu rzeczy [aus dem italienischen Original (La vita delle cose) von Alicja Bielak]. Łódź: Przypis.
Chambon J.-P., et al. (Hrsg.) (2002), Onomastik und Lexikographie, Deonomastik (=Onomastik. Akten des 18. Internationalen Kongresses für Namenforschung.Bd. 5). Tübingen: Niemeyer.
Fleischer M. (2021), Die polnische und deutsche Kollektivsymbolik (= Studien zur Multikulturalität2). Wiesbaden: Harrassowitz.
Heidegger, M. (2007), Rzecz. In: Ders.: Odczyty irozprawy [aus dem Deutschen von J.Mizera]. Warszawa: Aletheia.
Kałasznik M., Szczęk J. (2020), Kulinarische Onomastik an gewählten deutschen und polnischen Beispielen (= Sprachkontraste in Mitteleuropa. Studien zur kontrastiven und angewandten Linguistik, Bd. 7). Berlin: Peter Lang.
Schweickard W. (1992),Deonomastik. Ableitungen auf der Basis von Eigennamen im Französischen, unter vergleichender Berücksichtigung des Italienischen, Rumänischen und Spanischen(=Beihefte zur Zeitschrift für romanische Philologie,Bd.241). Tübingen: Niemeyer.
Stopyra J. (2016), Die Motivation referenzidentischer Benennungen aus dem Bereich der deutschen und polnischen Wortbildungsprodukte (= Sprache und Sprachen in Forschung und Anwendung, Bd. 2). Hamburg: Verlag Dr. Kovač.
Żychliński A. (2006), Unterwegs zu einem Denker. Eine Studie zur Übersetzbarkeit dichterischer Philosophie am Beispiel der polnischen Übersetzung von Martin Heideggers ‘Sein und Zeit’. Wrocław–Dresden: Neisse Verlag.
Foede P. (2009), Wie Bismarck auf den Hering kam. Kulinarische Legenden.Zürich: Kein & Aber.
Heimansberg J. (1996), Brockhaus! Was so nicht im Lexikon steht. Kurioses und Schlaues aus allen Wissensgebieten. Leipzig: F.A.Brockhaus.
Oetker A. (1895) Dr. A.Oetkers Grundlehren der Kochkunst sowie preisgekrönte Rezepte für Haus und Küche, [über https://www.gutenberg.org/ebooks/31537 abgerufen].
Rössing R. (2013), Wie der Hering zu Bismarcks Namen kam – Unbekannte Geschichten zu bekannten Begriffen. Rheinbach: Regionalia-Verlag.
Winter J. (2013), Wie die Helene zur Birne kam: 50 Rezeptklassiker und ihre Geschichte.München: Callwey Verlag.